Montag, 1. Juni 2009

GM Good Bye


Eilmeldung




General Motors stellt Insolvenzantrag

(NEU: Weitere Details, Hintergrund)

Von Christopher Hinton und Christine Benders-Rüger

DOW JONES NEWSWIRES

NEW YORK/WASHINGTON (Dow Jones)--Der einst weltgrößte Automobilhersteller General Motors (GM) hat am Montag einen Antrag auf Insolvenz nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts gestellt. Ziel des Verfahrens ist es, dass sich das hochverschuldete Unternehmen unter Beteiligung der US-Regierung umstrukturiert und gesundschrumpft. Dabei ist es vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt. Der Konzern aus Detroit hat den Antrag bei einem Gericht im Southern District von New York eingereicht.

Nach Einschätzung von Beobachtern ist das Gläubigerschutzverfahren das bislang komplizierteste und in seiner Art größte in der US-Geschichte. Dies zeigt sich allein an der Anzahl der Gläubiger und der Schuldenhöhe: So seien bei der Insolvenz mehr als 100.000 Gläubiger betroffen und die Schulden von GM belaufen sich den Angaben zufolge auf rund 172,8 Mrd USD.

Im Rahmen der Neuordnung des Traditionskonzerns sollen 14 bis 16 Werke geschlossen und etwa 21.000 Zeitarbeitsstellen vor Ende 2010 gestrichen werden. Bis Ende 2011 sollen es 17 Werke sein, die von der Umstrukturierung betroffen sind, darunter drei Automobilteile-Center. Sollte sich die Marktnachfrage wieder erholen, könnten drei der Werke allerdings wieder geöffnet werden. Durch die Maßnahmen wird die Anzahl der US-Werke bis 2012 auf 33 von 47 reduziert.

Die GM-Finanztochter GMAC werde ihren Geschäftsbetrieb unverändert fortführen, hieß es weiter. Ein Antrag auf Gläubigerschutz sei nicht beabsichtigt. Als ein Gläubiger von GM habe GMAC bereits im Vorfeld entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um die eigenen Interessen während der Restrukturierung des Automobilbauers zu sichern. GM hält 49% an GMAC.

GM Europe wird den Geschäftsbetrieb ebenfalls wie gewohnt fortsetzen und nicht in das gerichtlich beaufsichtigte Verfahren von GM einbezogen. Auf Grundlage der Partnerschaft mit Magna hat sich GM Europe die Zustimmung für eine Vereinbarung einer Brückenfinanzierung von 1,5 Mrd EUR mit der deutschen Bundesregierung gesichert, wodurch ein "ausreichender Zeitrahmen" für den Abschluss einer Partnerschaftsvereinbarung gegeben ist, heißt es in der Mitteilung von GM Europe. Auch die weiteren Geschäftsbetriebe in Lateinamerika, Afrika, im Mittleren Osten sowie im asiatisch-pazifischen Raum sollen ohne Unterbrechung weitergeführt werden.

Die US-Regierung hatte General Motors bis zum 1. Juni ein Ultimatum gestellt: Die Konzernführung sollte entweder einen Sanierungsplan vorlegen oder das Unternehmen würde in die geordnete Insolvenz geführt. Die US-Regierung soll nun wie angekündigt einen Kontrollanteil der GM-Anteile übernehmen. Etwa 12,5% werden von Kanada übernommen. Zudem wird Kanada Finanzhilfen über 9,5 Mrd USD und die US-Regierung weitere 30 Mrd USD für die Restrukturierung bereitstellen. Damit belaufen sich die US-Regierungshilfen für GM auf insgesamt 50 Mrd USD, nachdem zuvor bereits 20 Mrd USD gezahlt worden waren.

GM und die US-Regierung hatten am Wochenende bereits nach einem verbesserten Angebot eine Einigung mit der Mehrheit der Anleihen-Gläubiger erzielt. Auch mit der US-Gewerkschaft UAW ist GM zu einer Einigung gekommen. Damit hat GM jetzt die Chance auf ein beschleunigtes Insolvenzverfahren.

Je mehr Gläubiger die US-Regierung und GM vor Beginn des Insolvenzverfahrens auf eine Linie gebracht haben, desto höher sind die Chancen des Konzerns auf einen schnellen Abschluss des Insolvenzverfahrens. Die Gläubiger könnten sich dann einer Restrukturierung von GM während des Gläubigerschutzes nicht mehr widersetzen. Wie ein Sprecher des Gläubiger-Komitees am Sonntag sagte, stehen die insgesamt 975 Investoren, die dem verbesserten Angebot zugestimmt haben, für 54% der 27 Mrd USD GM-Schulden. Die Mehrheit der GM-Gläubiger hat damit einen Schuldenverzicht im Austausch gegen Aktien abgesegnet.

Ein Regierungsvertreter sagte am Sonntagabend, dass GM wohl nur 60 bis 90 Tage im Gläubigerschutz verweilen dürfte. Bei GM werde "Paragraph 363" des US-Insolvenzrechts durchlaufen. Nach den Richtlinien des US-Insolvenzrechts können Unternehmen oder Unternehmensteile, die unter Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts stehen, in so genannten "Verkäufen nach Paragraph 363" frei von Belastungen an Käufer übertragen werden. Dies ermöglicht der Gesellschaft de facto eine Spaltung in eine "Good Company" und eine "Bad Company".

Bei GM bedeutet dies, dass Marken wie Chevrolet und Cadillac - die als überlebensfähig gelten - die Insolvenz rasch wieder verlassen sollen. Andere wie etwa Hummer, Saturn und die schwedische Tochter Saab dürften dagegen abgestoßen werden. Die Marke Pontiac wird wahrscheinlich aufgegeben. Informierte Personen sagten bereits am Wochenende, GM habe einen Käufer für die Marke Hummer gefunden.

Alle Hoffnungen ruhen dann auf der "neuen GM", auf die dann die rentablen Unternehmensteile übertragen werden. Laut Washington Post geht das Finanzministerium davon aus, dass das neue Unternehmen in der Lage sein wird, einen großen Betrag der insgesamt dann 50 Mrd USD an Finanzhilfe bereits innerhalb der kommenden fünf Jahre zurückzuzahlen.

Wie GM nun mitteilte, wird die "Neue GM" von der gegenwärtigen GM-Geschäftsführung geleitet. Nach ihrem Plan werde GM im Wesentlichen alle Vermögenswerte der GM weltweit an die Neue GM veräußern. Der Verkauf stehe unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch das Insolvenz-Gericht.

Die US-Regierung hat in den vergangenen Tagen die Öffentlichkeit auf eine Insolvenz von GM vorbereitet. Ohne eine Staatsbeteiligung droht GM nach den Worten von Präsident Obama die komplette Zerschlagung. In einem am Samstag auf dem Sender NBC ausgestrahlten Interview sagte er: "Meine Präferenz wäre es gewesen, da ganz draußen zu bleiben. Das würde aber die Liquidation und den Bankrott bedeuten, bei dem eine großen Institution mit wichtiger Bedeutung für unsere Wirtschaft in Scherben liegt." Deswegen gebe es bei GM keine Alternative zu einer Staatsbeteiligung.

In der vergangenen Woche hatte Robert Gibbs, Sprecher des Weißen Hauses, den Fall des insolventen US-Automobilherstellers Chrysler als ein "hoffnungsvolles Beispiel" für General Motors dargestellt. Kern des Verfahrens ist die weitreichende Entschuldung von Chrysler durch das Abtrennen defizitärer Konzernteile. Der werthaltige Rest soll Fiat übertragen werden, die Chrysler künftig als Großaktionär operativ führen soll.

Beobachter warnen allerdings davor, GM mit Chrysler zu vergleichen. GM habe mehr als viermal so viele Mitarbeiter (235.000) wie Chrysler und noch fast ein Dutzend Marken im Konzern im Vergleich zu drei bei Chrysler. Zudem habe GM mehr wirtschaftliches Gewicht mit nationalen und internationalen Folgen für hunderttausende Arbeitsplätze unter anderem bei den Zulieferern. Auch müsse GM die Krise alleine meistern, während Chrysler einen Allianzpartner gefunden habe.

General Motors war über 100 Jahre der Stolz der US-Automobilindustrie und weltweit einer der mächtigsten Industriekonzerne. Am 16. September 2008 feierte GM den 100. Geburtstag. In den 1960er-Jahren bestimmte GM den Automobilmarkt: Jedes zweite in den USA zugelassene Fahrzeug kam aus einer der mehr als 100 GM-Fabriken. Nach erfolgreichen Jahren begann in den 70er Jahren mit der Ölkrise, dem Aufstieg der japanischen Marken und der verfehlten Modellpolitik der langsame, aber stetige Niedergang von GM und den anderen US-Automobilherstellern.

Die SUVs, Minivans, Geländewagen und Pickup-Trucks sowie die legendären Pritschenwagen, all die Klassiker der US-Automobilindustrie sind in den vergangenen Jahren immer mehr zu Ladenhütern geworden und haben viel Geld bei den Konzernen verbrannt. Immer mehr Amerikaner kauften und kaufen stattdessen japanische Kleinwagen der Hersteller Toyota oder Nissan oder europäische Marken wie Mini.

Zudem drückten GM besonders die hohen Arbeitskosten und sonstige Zuwendungen an die Mitarbeiter. GM bot früher die besten Sozialleistungen und noch nie da gewesene Vergünstigungen, von Familien- und Kindergeld über eine Krankenversicherung für sämtliche Familienmitglieder bis hin zu einer großzügigen Pensionsregelung. Damit hob der Konzern eine ganze Generation in den USA in den Mittelstand. Zu verdanken hatten die GM-Mitarbeiter die vielen Vergünstigungen der mächtigen US-Gewerkschaft "United Auto Workers" (UAW).

Sie hatte die Privilegien mit Druck und Streiks in Zeiten der Blüte errungen, und in Zeiten der Krise nicht mehr hergegeben. Das war nach Einschätzung von Beobachtern neben der verfehlten Modellpolitik ein weiterer Sargnagel für GM. Am Freitag haben die Mitglieder der UAW einem neuen Tarifvertrag mit GM zugestimmt.

Seit 2005 hat GM 88 Mrd USD Verlust gemacht, seit einem Jahr verbrennt der Konzern täglich 68 Mio USD. Im jüngsten Quartal belief sich diese Summe sogar auf 111 Mio USD pro Tag.

Die Aktien von GM werden nach dem Insolvenzantrag des Unternehmens aus dem Dow-Jones-Index für 30 Industriewerte (DJIA) herausfallen und durch die Aktien von Cisco Systems ersetzt. GM war seit 1925 in dem Index vertreten. Die Aktien des Automobilbauers haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 95% ihres Wertes eingebüßt.

Webseite: http://www.gm.com - Von Christine Benders-Rüger, Dow Jones Newswires, +49 (0) 69 29 725 108, unternehmen.de@dowjones.com (Marie Beaudette, Sharon Terlep und Eric Morath haben an der Meldung mitgewirkt) DJG/DJN/cbr/kla

(END) Dow Jones Newswires

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